Den Wald roden

Wälder, Krieg und Aktivisten im kolumbianischen Amazonastiefland

08/03/2018 Tag D +462

Remolinos del Chairá

Kreis

Cartagena del Chairá

Departement

Caquetá

WIR UND DER WALD

Ich bin Bauer, ein echter Bauer. Ich bin in einem Ort namens Asturias geboren, der liegt in der Provinz Tolima.

Als wir in die Provinz Caquetá gekommen sind, war ich 17 Jahre alt, das war 1979. Mein Opa war schon ein Jahr zuvor gekommen; der Staat hatte ihm 400 Pesos gegeben, das war damals viel Geld. Außerdem hatte er eine Machete und eine Axt bekommen und man hatte ihm gesagt: „Damit können Sie jetzt mal den Wald roden“.

Heute bin ich 55, ich bin hier heimisch geworden.

In Tolima hatten wir nur einen kleinen Hof; meine Eltern hatten dort zwei Hektar Kaffeepflanzungen. Als die Kaffeesträucher erst von der Rotfäule und dann vom Kaffeekirschenkäfer befallen wurden, ging uns das Geld aus und wir mussten fortziehen. Wir sind hierher gezogen und haben hier einen neuen Hof gekauft. Hier sind wir aufgewachsen.

Später bin ich nach Florencia gezogen und dank meiner Fähigkeiten war ich zwei Wahlperioden nacheinander Gemeinderat im “Paujil“, aber die paramilitärischen Verbände hatten mich auf dem Kicker und deshalb musste ich in Bogotá untertauchen. So verbrachte ich zehn Jahre.

Das war in den Neunzigern; es war der Höhepunkt des Drogenhandels in Kolumbien: Escobar, das Cali-Kartell, das Medellín-Kartell. Es gab Geld in Kolumbien, aber irgendwann war das Geld weg, die Firma, wo ich arbeitete, machte Pleite. Meine Angehörigen, die immer noch hier in Caquetá lebten, sagten mir:

–Komm doch nach Remolino del Caguán, hier gibt es Arbeit.

 

Da musste ich nicht lange überlegen und kehrte zurück.

 

In Remolino lebte gegenüber von meiner Arbeitsstelle eine Witwe; heute ist sie meine Frau und wir leben schon zwölf Jahre zusammen. Sie besaß einen kleinen Laden; den haben wir ausgebaut und heute leben wir beide davon.

Von Remolino aus, wo ich lebe, sind es mit dem Motorboot mindestens vier Stunden bis Cartagena del Chairá. Das liegt an den Kurven im Flusslauf, dass die Fahrt so lange dauert. Man kann auch ein Verkehrsmittel benutzen, das wir “Linienboot” nennen; das ist ein großes Kanu, das Passagiere und Fracht befördern kann. Damit dauert die Reise aber den ganzen Tag. Man fährt um sechs Uhr morgens los und kommt am Nachmittag um vier oder fünf Uhr in Cartagena del Chairá an, je nachdem, wie der Wasserstand ist. Je mehr Wasser der Fluss führt, umso schneller kommt man an. Andere Verkehrsmittel gibt es nicht. Wir arbeiten daran, eine Schneise durch den Wald zu schlagen, um eine Straße zu bauen. Aber uns fehlen Steine, wir haben auch keinen Schotter, und da, wo es Schotter gibt, am Berghang, da sind es private Steinbrüche. Deshalb geht der ganze Verkehr über den Fluss: Menschen und Waren, alles geht über den Rio Caguán.

Seit wir in diese Gegend gekommen sind, seit mein Großvater und die anderen Siedler gekommen sind, die hier begonnen haben, den Wald zu roden, bis vor zehn oder zwölf Jahren, beruhte die ganze Wirtschaft hier auf dem Kokaanbau. Der Vorteil war, dass man die Koka immer sofort verkaufen konnte. Jedes Kind konnte ein Kilo Koka anschleppen und hatte das Geld sicher.

Aber als dann die Sprühflugzeuge * kamen, die alles niedergemacht haben, sogar das Weideland, haben die Menschen gemerkt, dass das Ganze keine Alternative war und sie haben sich der Viehwirtschaft zugewandt. Aber um ehrlich zu sein, haben wir dabei nie an die Problematik der Abholzung gedacht.

Die Besprühung der Kokaanbauflächen aus der Luft mit Glyphosat in den Jahren 2004 und 2005 führte dazu, dass sich der Kokaanbau von Caquetá in andere Landesteile wie Nariño, Putumayo und Norte de Santander verlagerte.

Die Institutionen sagen, der illegale Anbau sei einer der Hauptgründe für die Abholzung der Wälder. Das glauben wir nicht, denn mit nur zwei Hektar Kokaanbau kann eine ganze Familie sorglos leben. Aber mit den Einkünften aus zwei Hektar Weideland verhungert man. Das ist das Problem. In erster Linie, weil uns hier keine Technologien zur Verfügung stehen. Was macht der Bauer also, wenn er Viehzucht betreibt? Er holzt den Wald ab. Er rodet den Wald bis auf den letzten Baum, aber dabei denkt er meistens nicht an die Wasservorräte.

 

Er fällt die Bäume, brennt das Unterholz ab, bewässert das Land, und nach drei oder vier Monaten kann er schon das Vieh weiden lassen. Oft muss er nicht einmal einen Zaum bauen, denn dieses Weideland ist auf allen Seiten von Wald eingeschlossen. Aber das ist ein Problem, denn bei dieser Produktionsweise haben die Leute gemerkt, dass die Waldflächen immer weiter abnehmen, und das, obwohl es natürlich Vorschriften gibt. Wir haben ein Handbuch, wo alles geregelt ist: gesellschaftliche Angelegenheiten, wirtschaftliche Angelegenheiten, Umweltschutz. Für alles gibt es Vorschriften und die gelten für den ganzen Kreis Cartagena del Chairá, mit Ausnahme des Stadtgebiets.

Angeblich soll sich die Guerilla diese Vorschriften ausgedacht haben. Das stimmt aber nicht, das waren wir selbst, und die Vorschriften wurden im Einklang mit der Verfassung und den Gesetzen angewendet.

In dem Handbuch wird festgelegt, dass man auch um den kleinsten Bach auf jeder Seite zehn Meter Auwald belassen muss; bei größeren Bächen zwanzig Meter; bei Flüssen fünfzig Meter und bei breiten Strömen wie dem Caguán sogar hundert Meter auf jeder Seite. Aber die Leute haben sich nicht daran gehalten und haben einfach alles abgeholzt. Die Viehzucht wurde extensiv betrieben und verwandelte sich in eine Art Monokultur *. Und die Viehzucht ist ja die einzige rentable Wirtschaftsform, denn wenn man etwas anbaut, zum Beispiel Bananen, gibt es keine Möglichkeit, die Ernteprodukte abzutransportieren. Es gibt ja keine Straßenverbindungen hier und der Transport über die Flüsse ist sehr kostspielig. Wir müssen dafür dreihundert Pesos pro Kilo zahlen. Dieses Geld holen wir nie wieder rein.

Nach Angaben des staatlichen Instituts für Hydrologie, Meteorologie und Umweltforschung IDEAM war die Provinz Caquetá im ersten Halbjahr 2017 die Region mit den meisten Frühwarnungen aufgrund von Abholzung in Kolumbien. Der Kreis Cartagena del Chairá, zu dem der Ort Remolino del Caguán gehört, ist der Kreis mit der zweithöchsten Anzahl an Warnmeldungen.

Bei den sozialen Organisationen wissen wir, dass die Abholzungsarbeiten immer in den beiden letzten Monaten des Jahres und in den beiden ersten Monaten des nächsten Jahres durchgeführt werden. Deshalb haben wir eine Frühwarnung abgegeben, wir haben angekündigt, dass nach dem Abzug der Guerilla die frei werdenden Grundstücke besetzt werden würden und dass dann die Wälder gerodet würden, und genau das ist auch geschehen.
Bisher hatte die Guerilla * das verhindert, aber nach dem Friedensabkommen haben die Behörden es nicht geschafft, das Problem unter Kontrolle zu bekommen und es ist immer schlimmer geworden.

Die Provinz Caquetá war eins der Hauptkampfgebiete im Krieg zwischen dem kolumbianischen Staat und den FARC, die während des von Andrés Pastrana initiierten Friedensprozesses die Kontrolle über große Teile der Region übernahmen und dort sogar die Aufgaben einer Umweltbehörde wahrnahmen, indem sie den Verlauf der Landwirtschaftsgrenze festlegten.

Mit den Vereinbarungen kommt auch die Landreform und die Aufteilung des Lands, damit die etwas bekommen, die bisher nichts oder nur wenig haben. Und wir fragen uns natürlich, was mit den Landgütern passieren soll, die 200 oder 300 Hektar umfassen und fast nur aus Wald bestehen. Die Leute, die 400 Hektar besitzen, wissen ja, dass ihnen das nicht alles wirklich zugesprochen wird. Deshalb verkaufen sie jetzt alles bis auf 67 Hektar, die sie behalten dürfen, zum halben Preis. Und die neuen Eigentümer holzt als Erstes alles ab, ohne lange nachzudenken. Auf diese Weise wird der Wald vernichtet.*

Der erste Punkt des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-EP betrifft eine integrale Landreform, welche Landzuteilung, Beurkundung von Eigentumsverhältnissen und Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung beinhaltet. Diese Reform bedeutet für den kolumbianischen Staat eine ungeheure Herausforderung, so wie sie es auch historisch immer gewesen ist. Gegenwärtig befindet sich die entsprechende Gesetzesinitiative in der parlamentarischen Debatte. Von verschiedenen Seiten wurde die Befürchtung geäußert, dass dabei die Rechte der Konfliktopfer, die als Angehörige ethnischer Gruppen aus ihrer Heimat vertrieben wurden, zugunsten der Interessen von Großgrundbesitzern übergangen werden.

WIR,

 

 

DIE GUERILLA UND DAS GESETZ

Es ist ja kein Geheimnis, dass es in unserer Gegend die Guerilla war, die für Ordnung gesorgt hat. Natürlich haben die uns nicht ständig eine Pistole an den Kopf gehalten. Für uns war die Guerilla viel besser als die Regierungstruppen. In meinem Fall waren es ja die Regierungstruppen, die mich sechs Jahre ins Gefängnis gesteckt haben, wegen angeblicher Guerillatätigkeit.

Die Guerilla war wie ein Bürgermeister. Die haben nicht mit jedem einzelnen gesprochen, sondern nur mit den Führern. Diejenigen von uns, die an der Spitze von Organisationen standen, hatten wohl oder übel einen viel engeren Kontakt mit der Guerilla.

Als in der Regierungszeit von Uribe der „patriotische Plan“ * in Kraft trat, hielten die Regierungstruppen, die in unsere Region kamen, natürlich jeden für einen Guerillakämpfer, so als würden wir das Abzeichen der FARC mit den gekreuzten Gewehren auf der Stirn tragen. Die hielten uns alle für Guerillakämpfer, ohne Ausnahme.

Bei dem “patriotischen Plan” handelte es sich um eine massive Militäroffensive, die von 2003 an in den Provinzen Meta, Caquetá und Putumayo durchgeführt wurde, um die mutmaßlichen Rückzugsgebiete der FARC-EP unter Kontrolle zu bringen. Während der Operation kam es zu Gewaltexzessen seitens des Heeres und der Polizei sowie zu klaren Verletzungen der Menschenrechte und des internationalen humanitären Rechts.

Ob wir, die einfachen Leute und die Führer, mit der Guerilla gesprochen haben? Na klar! Das haben wir ja nie bestritten. Ob wir uns mit ihnen getroffen haben? Klar! Was hätten wir denn sonst tun sollen? Uns weigern? Nein, das wäre nicht möglich gewesen. Das hat nie jemand verstanden, und das Problem ist, dass die Regierung von den Streitkräften Ergebnisse verlangt hat und dass die Streitkräfte diese Ergebnisse dann geliefert haben, auf welche Art auch immer.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, was Carlos Castaño von den AUC * damals in einem Interview sagte:

 

–Von Cartagena del Chairá flussabwärts kann man nicht einmal dem Pfarrer vertrauen.

AUC, Vereinigte Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens, rechtsradikale paramilitärische Organisation. Ihr oberster Anführer Carlos Castaño gab bis 1996 zahlreiche Interviews, bei denen sein Gesicht nicht zu sehen war. 2000 zeigte er bei verschiedenen Fernsehinterviews erstmals öffentlich sein Gesicht.

Und so war es auch; es stellte sich heraus, dass gegen Pfarrer Giacinto Franzoi*, der für uns in Remolino eine Art Apostel war, ein Haftbefehl vorlag. Er hatte Glück; als er verhaftet werden sollte, war er nicht zu Hause, sonst wäre es ihm so gegangen wie mir.

Der italienische Geistliche Franzoi kam 1978 in die Provinz Caquetá. 1988 wurde er Kaplan in Remolino del Caguán. Er setzte sich maßgeblich für das Projekt Chocaguán ein, ein bäuerliches Unternehmen, das in der ansonsten ausschließlich von Kokaanbau geprägten Amazonasregion Kakao produzierte. Das Unternehmen wurde 2004 mit dem Nationalen Friedenspreis ausgezeichnet. Später wurde der Geistliche beschuldigt, Geld an die FARC abgeführt und im Pfarrhaus Waffen versteckt zu haben. Im Jahr 2008 stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen ihn ein und er kehrte nach Italien zurück

Damals hatte ich in unserer Gemeinschaft fünf verschiedene Ämter: Ich war Koordinator für unseren Bezirk, Vizepräsident des Kommunalrats von Remolino, Vertreter des Straßenbaukomitees für den gesamten Bezirk 2, Kandidat für den Kreisrat, aber ich konnte nicht gewinnen, weil es gar keine Wahlen gab; die Armee sagte, die Wahlen könnten nicht stattfinden, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt seien, um Wahllokale einzurichten. Außerdem war ich auch noch Vorsitzender des Schulelternbeirats. Das alles machte ich damals, bis eines Tages die Armee kam und viele von uns ins Gefängnis steckte.

Das ist schlimm; es ist schlimm, wenn man den ganzen Tag in den vier Wänden einer Gefängniszelle eingesperrt ist und den Himmel nicht sehen kann. Ich habe viel gelesen; im Gefängnis habe ich 174 Bücher gelesen. Ich bin nur bis zum Abitur gekommen; aber durch die Bücher, die ich gelesen habe, habe ich viel gelernt.

Mit drei anderen wurde ich in Remolino del Caguán festgenommen, von dort wurden wir in einem Hubschrauber nach Peñas Coloradas gebracht, und von dort ebenfalls im Hubschrauber auf den Stützpunkt Tres Esquinas am Ufer des Río Caquetá. Von dort ging es im Flugzeug nach Bogotá, wir wurden nach Paloquemao gebracht, blieben 53 Tage dort, und dann ging es im Flugzeug nach Florencia. In Florencia verbrachten wir fast unsere ganze Haftzeit, bis wir zum Gerichtsverfahren in das Gefängnis La Picota gebracht wurden. Wir hatten große Angst davor, in eins der großen Gefängnisse gesperrt zu werden, denn man hatte uns gesagt, das sei schlimmer als die Hölle. Deshalb bemühten wir uns, möglichst nahe bei unseren Familien inhaftiert zu werden, und das war für uns eben Florencia. Aber das Verfahren musste in Bogotá stattfinden, und deshalb verbrachten wir drei Monate im Gefängnis La Picota.

Einer der Hauptanklagepunkte, die uns – wir waren insgesamt 22 – vorgeworfen wurden, war, als Strohmänner fungiert zu haben.

 

–Womit bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

 

Das war die Frage, die wir beantworten sollten; genau diese Worte gebrauchte die Richterin. Die meisten der Mitangeklagten verstanden die Frage gar nicht und sahen mich mit großen Augen an.

–Wovon ihr lebt, sagte ich.

Und einer nach dem anderen antwortete:

–Ich habe einen kleinen Hof.

–Wie groß ist der Hof?

–150 Hektar.

-300.

–Meiner 200.

–Meiner ist 500 Hektar, fast 600 Hektar.

–Und Sie wollen mir weis machen, das Sie keine Strohmänner sind?, sagte die Richterin.

Klar, das ist viel Land. Das Problem ist, dass man das nicht mit den landwirtschaftlichen Betrieben in der Umgebung von Bogotá oder im Ausland vergleichen kann.

–Frau Richterin, erlauben Sie, dass ich Ihnen das Ganze ein wenig erkläre?

–Bitte, Don Rafa, erklären Sie mir, warum Sie keine Strohmänner sind.

Ich sagte:

–Das ist ganz einfach. Wir leben in einer Region, wo das Land nichts wert ist.

Ich spreche von 2008, als ein Hektar Weideland oder Bergwald 300.000 Pesos Wert war. Ein Grundstück mit 300 Hektar bekam man also fast umsonst. In anderen Landesteilen kann ein Hektar gut und gerne 300 Millionen Pesos kosten, aber hier nicht.
Ich sagte sogar:

–Frau Richterin, wenn Sie dorthin fahren und ein Landgut besitzen wollen, dort gibt es herrenlose Grundstücke von tausend Hektar oder soweit das Auge reicht. Sie brauchen nur zu sagen, das gehört mir, denn das ist herrenlos. Deshalb sind wir auch keine Strohmänner. Jemand kann ein Grundstück von 500 Hektar haben, aber das ist keine 300 Millionen Pesos wert, das ist es nicht wert.

Nach dem ganzen Sermon wurde es der Richterin klar, dass das Land weder für uns noch für den Staat viel wert war.

Der zweite Anklagepunkt gegen uns lautete auf Rebellion. Es gab Leute aus Remolino, die Guerillakämpfer gewesen waren und uns beschuldigten, ebenfalls der Guerilla anzugehören. Nur zwei dieser Personen konnten wir in dem Verfahren zur Rede stellen, und auf unsere Fragen hin mussten sie zugeben, dass sie gelogen hatten. Mir wurde zum Beispiel vorgeworfen, ich hätte die Leute in Remolino gezwungen, zur Wahl zu gehen. Also fragte ich den Mann:

–Wann waren die letzten Wahlen in Remolino?

 

Er dachte nach und sagte:

 

–Das war 2001.

 

Also sagte ich:

 

-Und wie soll ich dann die Leute gezwungen oder gehindert haben, zur Wahl zu gehen, wenn ich damals gar nicht in Remolino gelebt habe? Ich bin 2003 nach Caquetá zurückgekehrt und dafür gibt es jede Menge Zeugen.

Es gab viele Unstimmigkeitem, und so wurde schnell klar, dass es sich vom Zeitpunkt der Festnahme an um ein abgekartetes Spiel gehandelt hatte. Ich erinnere mich an eine Nachbarin, die mir gegenüber wohnte, die Polizei kam mit einem Haftbefehl und in der Verzweiflung sagte ihr Mann, alles, wessen sie beschuldigt werde, nehme er auf sich. Der Staatsanwalt, der bei der Festnahme anwesend war, sagte nur:

–Alles klar, wenn das so ist, kein Problem.

Er nahm den Haftbefehl, zerriss ihn, warf die Schnipsel in einen Papierkorb und stellte einen neuen Haftbefehl auf den Namen des Mannes aus. Sie mussten ja nur Ergebnisse vorweisen; wer verhaftet wurde, spielte letztlich keine Rolle.

Durch unsere Verhaftung wurde die Auseinandersetzung zwischen der Zivilbevölkerung und der Armee noch weiter polarisiert, denn die Leute begannen, Forderungen an die Armee zu stellen und diese als Feind anzusehen, als zahlreiche unschuldige Leute festgenommen wurden*. Von den 39 Personen, die bei uns verhaftet wurden, sind bis auf sechs alle wieder freigelassen worden. Und auch bei den sechs lag es nur daran, dass für sie die Sondergerichtsbarkeit zuständig war und die können die Leute nicht einfach so freisprechen, sie wussten, dass sie Ärger bekommen, wenn sie niemanden verurteilen. Aber heute sind die beiden Heeresgefreiten, die die Ermittlungen angestellt haben, für dieses abgekartete Spiel zu neun und elf Jahren Gefängnis verurteilt; und der Staatsanwalt, der die Verhaftungen in Remolino geleitet hat, sitzt wegen unrechtmäßiger Bereicherung in den USA im Gefängnis.

Im Zuge der Umsetzung des „patriotischen Plans“ wurden aus der Zivilbevölkerung zahlreiche Vorwürfe wegen willkürlicher Verhaftung, gewaltsamem Verschwindenlassen, Folter, entwürdigender Behandlung, Beschimpfungen und außergerichtlichen Hinrichtungen erhoben. Dies ging einher mit der systematischen Kriminalisierung, gerichtlichen Verfolgung und Einschüchterung von politischen Aktivisten und sonstigen Bewohnern der Gebiete, in denen der Plan umgesetzt wurde.

Seit knapp drei Jahren ist das ganze Kriegsgeschehen Geschichte. Diese ständige Ungewissheit hat angedauert, bis es die Friedensvereinbarungen gegeben hat.

 

 

Jetzt, wo die Guerilla die Waffen niedergelegt hat und nicht mehr da ist, können die Institutionen tätig werden, wenn sie wollen, und Kolumbien ist nun frei für den Übergang. Es ist nötig, dass die Institutionen erfahren, welche Zustände hier herrschen, damit wir bald das einfordern können, was uns zusteht, damit unsere Bedürfnisse sichtbar werden, denn das sind viele.

Aber der Staat besteht ja nicht nur aus den Institutionen; der Staat sind wir alle. Zumindest auf dem Papier ist es so, in Wirklichkeit aber gibt es die Mächtigen, die von oben nach ihrem Gutdünken die Gesetze festlegen. Dabei sollten alle das Recht haben, ihre Meinung zu sagen, ohne deshalb Probleme zu bekommen. Aber auch nach dem Friedensabkommen ist es so, dass es mir nicht gut bekommt, wenn ich ins Dorf gehe und dort rumerzähle, dass ich Kommunist bin.

Obwohl ich als angeblicher Guerillakämpfer im Gefängnis war, hatte ich nie die Absicht, mich der Guerilla anzuschließen. Nie. Ich bin links, das bestreite ich gar nicht, ich bin seit vielen Jahren Kommunist, ich denke, mir ist ziemlich klar, was läuft.
Ich arbeite nicht nur im Handel, ich mache auch soziale Arbeit als Aktivist. Die Leute nennen mich Präsident, aber wir sagen dazu Koordinator der Verbandsgemeinde; mein Verband besteht aus zwanzig Ortschaften im Gebiet von Remolino del Caguán.