Die Rückkehr des Vermissten

Geschichten von Kokain, Krieg und Familienleben aus der Region Catatumbo

23/02/2018 Tag D +449

Caño Indio

Kreis

Tibú

Departement

Norte de Santander

Damals war ich noch sehr jung. Mit meinem Vater und seinen Freunden ernteten wir Kokapflanzen ab; wir waren Erntehelfer. Das Gebiet, wo wir arbeiteten, hieß „Letzter Tropfen“. Dort war der Kokaanbau damals sehr verbreitet. Einmal waren wir gerade bei der Arbeit, als nach uns geschickt wurde. Als wir nach Hause kamen, fanden wir dort lauter Uniformierte vor. Als Zivilist weiß man ja meistens gar nicht, ob es sich um Soldaten oder Guerillakämpfer handelt.
Auf dem Gut waren wir zwölf Landarbeiter. Wir wurden zu zwei Uniformierten gerufen, die mit ihren Flinten am Weg saßen. Wir wurden zum Haus gebracht; dort wartete der Führer des Trupps. Er war klein und ging gebückt wie ein Indianer. Die Männer nannten ihn „Cordillera“.

-Hier sind die Guerillakämpfer, sagte einer.

 

Am Wegrand saß ein gefesselter junger Mann; er wurde „Tocayo“ genannt. Auch er war kein Guerillakämpfer; er war Viehhirt. Wir sahen ihn an, und er sah uns an, aber niemand sagte ein Wort.

-Jetzt seid ihr dran, sagte einer von den Männern ständig, aber keiner von uns antwortete.

Wir waren nicht allein; die Männer hatten außer uns noch eine ganze Gruppe festgenommen. Während wir noch warteten, was nun geschehen würde, sahen wir, wie der alte Buches den Weg herabstieg. Ich erinnere mich, dass einer der Uniformierten auf ihn zuging und ihn grüßte. Er sagte zu dem Alten:

-Wir sind von den FARC; wir wollten hier nur mal nach dem Rechten sehen.

Sie unterhielten sich eine Weile, aber plötzlich drehte der Uniformierte sich um und rief:

 

-Nein, Mensch, Sie irren sich.

 

Er drehte sein Armband um, und darauf stand nicht FARC, sondern AUC. Es waren die Paramilitärs. Der Uniformierte schrie:

 

-Der gehört zur Guerilla!

Da prasselte auch schon der Kugelhagel los und der alte Buches fiel zu Boden. Tocayo, der Viehhirt, folgte nur Augenblicke später. Dies alles geschah vor unseren Augen.

Plötzlich begann es zu regnen und als sie uns nach Morro Frío bringen wollten, war der Bach stark angeschwollen. Vor uns und hinter uns gingen Paramilitärs. Einer sagte:

-Wen die Strömung mitreißt, der wird getötet, denn das ist ja nur, um abzuhauen.

Sie banden uns an Stricken fest und ließen uns durch den Bach waten.
Als wir am Gutshof auf der anderen Seite des Baches ankamen, sahen wir, dass sich dort viele Arbeiter befanden. Es waren Zivilisten wie wir, Erntearbeiter von anderen Gütern, die man gefangen genommen und hergebracht hatte. Einer der Männer rief:

-Alle hier antreten!

 

Aber wie soll unsereiner als Zivilist wissen, was mit „antreten“ gemeint ist? Wir blieben stehen, wo wir waren.

 

-Stellt euch nicht so dämlich an, ihr seid von der Guerilla; ihr wisst genau, was „antreten“ bedeutet.

Da wir nicht wussten, was er meinte, aber große Angst hatten, taten wir nichts weiter, als noch enger zusammenzurücken. Schließlich begannen die Männer, uns reihenweise aufzustellen, einen hinter dem anderen. Wir waren viele, etwa 400, Männer, Frauen, Kinder. Ich war noch sehr jung; ich war damals vielleicht dreizehn Jahre alt. Mein Vater wich nicht von meiner Seite. Einer der Männer sagte:

-Hier haben wir einen Guerilla-Kämpfer, den wir im Gefecht gefangen genommen haben. Der kennt euch alle.

Ein Mann trat aus einem Eingang. Er war völlig vermummt; man konnte nur die Augen sehen.

-Wen er berührt, der gehört zur Guerilla.

 

Er schritt die erste Reihe ab, berührte aber niemanden. Es folgten die zweite und die dritte Reihe, auch hier berührte er niemanden. Als er unsere Reihe erreichte, streckte er die Hand aus und berührte Caifaz, einen Mann, den wir gut kannten. Caifaz war Stotterer.

 

-Nein nein… ich ich bin bin Ar Ar Arbeiter.

Wir wussten, dass das stimmte; er war Viehhirt. Aber wer wird sich in dieser Situation schon für einen anderen einsetzen? Wer den Mund aufmacht, wird erschossen. Der Beschuldigte musste vortreten und der Vermummte setzte die Suche fort. Er war nun ganz nah bei uns und berührte einen Jungen, der noch jünger war als ich. Einer der Männer sagte:

-Gut, wir haben zwei, aber ich weiß ja, dass ihr eigentlich alle zur Guerilla gehört.

Der Mann, der das sagte, trug eine Pistole und ließ sie um seinen Finger kreisen, während er redete. Die beiden Beschuldigten wurden an eine abseits gelegene Stelle gebracht. Der Mann mit der Pistole trat zu ihnen hin und drückte mehrmals ab, aus nächster Nähe. Zuerst fiel der stotternde Viehhirt zu Boden und dann der Junge.
Der Mann kam wieder auf uns zu. Er wollte wissen, wer die beiden Hingerichteten gekannt hatte: „Wer von euch hat diese Schweine gekannt?“ Plötzlich, ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist, stand der Viehhirt Caifaz auf. Sofort schossen die Paramilitärs auf ihn, und erneut sank er zu Boden. Aber als sich der Pistolenschütze wieder umdrehte, stand Caifaz erneut auf. Erst nach vielen Schüssen, und nachdem sie zum Schluss noch mit der Machete auf ihn eingeschlagen hatten, starb der Viehhirt. Bei uns sagen einige, Caifaz sei durch Hexerei gegen die Schüsse geschützt gewesen. Das sagen die Leute, aber ich glaube das nicht.
Später sagte einer:

-Caifaz war dämlich; wenn ich durch Hexerei geschützt wäre, hätte ich mich doch einfach totgestellt und dadurch hätte ich mich gerettet.

Caifaz konnte sich nicht retten.
Als die Paramilitärs abzogen, hatte es also schon vier Tote gegeben, auf jeder Seite des Baches zwei. Nachdem der letzte der Bewaffneten verschwunden war, warteten wir noch eine ganze Stunde. Später beschlossen wir, die Toten erst am folgenden Tag zu begraben, um sicher zu sein, dass die Paramilitärs auch wirklich weg waren.

Als Kind hat man ja vor allem Angst. Ich konnte an diesem Abend nichts essen und in der Nacht nicht schlafen. Ich sah immer noch das Blut und die Machete vor mir. Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Gegen sechs Uhr morgens waren wieder Schüsse zu hören. Ich lief ins Freie, um mich in den Bergen zu verstecken, ich allein, mein Vater blieb im Haus. Aber vom Haus aus ließ sich der ganze Weg überblicken, und nach etwa einer Stunde begannen mein Vater und die anderen nach mir zu rufen. Die Männer seien schon wieder weg, aber sie hätten sich Hühner und Vieh der Bauern mitgenommen. Die Bauern selbst seien geflohen.

Es hatte einen weiteren Toten gegeben. Chucho hatte sich nicht verstecken wollen und die Männer hatten ihn erschossen. Wir zählten also schon drei Tote auf unserer Seite des Baches.
Allmählich kehrten die Leute zurück, die sich versteckt hatten. Rings umher sah ich den Rauch von den Bauernhäusern aufsteigen, die in Brand gesteckt worden waren. Wir alle versammelten uns, Erntehelfer und Ansässige, und beschlossen, die Toten zu begraben, die drei auf unserer Seite. Ich half dabei, die Gräber zu schaufeln.
Das war um das Jahr 2000 in einem Dorf hier in der Region Catatumbo. Es war das erste Mal, dass ich zusehen musste, wie Menschen getötet wurden. Aber es war nicht das letzte Mal.

Zu dieser Zeit haben wir immer nur gearbeitet. Aber wenn man für den einen arbeitete, dann hieß es: „Der gehört zur Guerilla“. Und wenn man für einen anderen arbeitete, dann galt man als Paramilitär. Das heißt, egal, wo man arbeitete, immer war man auf dem Sprung, fliehen zu müssen. Man war ständig in Gefahr, ohne große Fragen getötet zu werden. Man hat sich gefragt: „Wenn ich ein Nichts bin, wenn ich ein Niemand bin, warum wollen die mich unbedingt umbringen?“ Die Leute waren das leid, die jungen Leute waren das leid. Ich war noch sehr jung, als das mit den Paramilitärs passierte, es war für mich sehr hart, das alles ansehen zu müssen. Viele junge Leute wurden getötet. Oft war man gezwungen, wegzulaufen und sich irgendwo zu verstecken. Oft hat man alles verloren, was man geerntet hatte, und wenn man dem Gutsbesitzer nichts abgeliefert hat, dann gab es auch kein Geld.

In dieser Zeit begann ich auch, allein bei der Kokaernte zu arbeiten. Meinem Vater gefiel diese Arbeit nicht besonders, und er betätigte sich lieber als Viehhirt. Ich arbeitete von da an mit einer Gruppe von Freunden zusammen.
Als wir einmal auf einem Gut in der Nähe von El Ventilador eingesetzt waren, lernte ich auch zum ersten Mal leibhaftige Guerilla-Angehörige kennen. Sie lagerten dort ganz in der Nähe. Ich unterhielt mich öfters mit ihnen; ich arbeitete damals bis zum Nachmittag und danach unterhielt ich mich mit ihnen. Später bin ich fast gar nicht mehr arbeiten gegangen, sondern habe mich nur noch mit ihnen unterhalten. Aber angeschlossen habe ich mich ihnen damals noch nicht. Das war erst später. Damals war ich meistens mit meinen Freunden zusammen, und mit dem „Pfarrer“, wir nannten ihn so, weil er ein ziemlich übler Halunke war und außerdem eine Halbglatze hatte. Wir arbeiteten gerade auf einer Pflanzung im Gebiet von La India, und da kamen plötzlich wieder die Paramilitärs und wir mussten wegrennen. Es kam zu einer wilden Schießerei zwischen den Paramilitärs und der Guerilla.
Da sagte ich dann:

-Ich gehe nicht mehr zur Arbeit, ich gehe zur Guerilla. Es kann sein, dass ich dann getötet werde, aber ich will nicht mehr wegrennen müssen.

Ich hatte mit der Guerillagruppe vereinbart, dass ich sie auf einem Berggrat treffen würde. Als sich meine Freunde von mir verabschiedeten, tat es mir schon weh, ich würde ja von nun an mit Leuten zusammenleben, die ich gar nicht kannte. Der „Pfarrer“ war richtig traurig, und ich auch, wir umarmten uns.

 

Wenn man in die Guerilla eintritt, macht man als Erstes die Grundausbildung; dabei lernt man alles, was man wissen muss. Da bekommt jeder ein Holzgewehr. Mit dem Holzgewehr liegt man auf der Lauer, macht Nachtmärsche, watet durch Wasser, robbt durch den Morast und so weiter. Obwohl das Gewehr aus Holz ist, muss man es behandeln wie eine richtige Waffe; man darf es nicht rumliegen lassen. Das ist ein Training. Während der ganzen Ausbildung muss man das Gewehr schleppen. Ich habe das Holzgewehr vier Monate lang mit mir rumgeschleppt. Einige haben ihr Holzgewehr einfach so mit sich rumgeschleppt, andere haben es regelrecht gepflegt. Und wenn man sich gerade daran gewöhnt hat, dann bekommt man das richtige Gewehr. Ich habe ein AK 47 bekommen. Eines Tages rief mich der Kommandant und sagte:

-Nimm dieses Gewehr.

Ich hatte noch nie eine Waffe besessen, und am Anfang hielt ich ständig einen Lappen mit Öl in der Hand, um das Gewehr zu polieren. Aber das ist typisch Anfänger.

So vergingen etwa vier Jahre. Und eines Tages begegnete ich meinem Vater; ich war uniformiert. Er war überrascht mich zu sehen; er hatte lange nichts von mir gehört und hatte gedacht, ich sei tot.

Später begegnete ich auch dem „Pfarrer“, meinem Kumpel von früher. Wir kamen genau da vorbei, wo er gerade mit Erntearbeiten beschäftigt war. Er sah mich und rief mich bei meinem früheren Namen. Ich sagte ihm:

-Pfarrer, pass mal auf, ich bin jetzt bei der Guerilla. Wenn jemand nach mir fragt, dann sag einfach, ich hätte geheiratet und würde jetzt woanders wohnen. Das kannst du meiner Mutter oder meinen Geschwistern sagen. Aber erzähl bitte niemandem, dass ich bei der Guerilla bin. Das ist besser für mich und für die anderen.

Wir unterhielten uns fast eine Stunde, bis die anderen sagten, wir müssten weitermarschieren.

Danach war alles anders; ich dachte gar nicht mehr daran, zurückzukehren. Aber man erinnert sich natürlich an die Familie, an die Freunde, an das Viertel und all das.

Es gibt Leute, die anfangen zu zittern, wenn sie den ersten Schuss hören. Andere lachen wie irr, andere machen nichts, sagen nichts. Wieder andere sind wie gelähmt und reagieren erst viel später. Man sieht die anderen ganz nah, man kann ihnen ins Gesicht sehen, der andere hat vielleicht einen Lappen um den Gewehrlauf gewickelt und schießt gerade auf einen. Das ist eine ernste Sache. Oder man merkt, dass etwas auf einen geworfen wird. Eine Handgranate. Wenn man dann nicht weiß, wie man sich schützen muss, dann ist alles aus.

 

Wenn man sieht, dass schon viele getötet worden sind, dann bekommt man Angst. Man muss sich beherrschen. Wenn man durchdreht, macht man nämlich alles nur noch viel schlimmer. Dann kann es leicht sein, dass man verletzt oder sogar getötet wird. Man muss sich beherrschen. Und man muss sich klar machen, dass die anderen ja auch Angst haben. Im Gefecht ist ja keiner ganz locker und entspannt. Die anderen haben Angst, und man selbst auch. Aufeinander zu schießen ist ja nicht das Gleiche wie ein Streit mit Worten, wo man jederzeit sagen kann, es reicht mir. Es ist schwer und es ist traurig.

Je mehr Zeit verging, desto mehr hatte ich das Bedürfnis, zu wissen, wie es der Familie geht. Ich habe mich oft erkundigt, ich habe Bauern gefragt, Zivilisten, die sich in Cúcuta auskennen, ich habe sie gefragt, ob sie etwas über meine Familie wissen. Aber nichts. Ich habe die Telefonnummer verloren, ich habe meine Papiere verloren.

 

Ich habe erst vor kurzem von meiner Familie erfahren, als der Friedensprozess begonnen hat. Das war, als wir in den Sammellagern waren und darüber gesprochen haben, dass wir bald wieder Zivilisten sein würden. Uns wurde das Friedensabkommen erklärt, und es wurde gesagt: Ihr bekommt einen Ausweis, ihr bekommt Papiere. Ihr werdet eure Familien wiedersehen können. Ich habe nur gedacht: Das ist alles schon so lange her; ich weiß ja gar nicht, ob meine Angehörigen überhaupt noch leben. Nur von meinem Vater wusste ich es; er hat mich hier besucht. Er hat eine neue Familie und er weiß auch, dass ich bei der Guerilla war.

Ich begann, Nachforschungen anzustellen, bis mir eines Tages ein junger Mann sagte:

-Hier habe ich die Telefonnummer von einer Frau.

 

-Von wem? Ich kenne niemanden.

Und er zeigte mir im Telefon ein Bild. Ich hatte den Eindruck, dass es meine Mutter war, aber ich konnte mich gar nicht mehr richtig an sie erinnern.

 

-Ruf sie an, aber sei vorsichtig. Deine Mutter hat dich ja seit Jahren nicht mehr gesehen. Das ist, als würde sie einen Anruf von einem Toten bekommen. Wenn sie herzkrank ist, kann sie das sogar umbringen.

Als sie meine Stimme hörte, musste sie weinen. Ich rief auch meinen Bruder und meine Nichte an. Das ist hart. Ich sagte ihnen, dass ich zu ihnen kommen würde. Ich stellte einen Antrag auf Ausgang und fuhr los.

 

Als ich zum Treffpunkt kam, den ich mit meinem Bruder vereinbart hatte, ging er an mir vorbei, ohne mich zu erkennen, und ich erkannte ihn auch nicht. Ich wählte seine Nummer und sagte ihm:

-Ich bin da.

 

-Ich auch, sagte er.

 

-Ich trage ein blaues Hemd.

 

-Ich trage ein gelbes Hemd.

 

-Du stehst neben mir!

Es war ein sehr schönes Treffen. Meine Mutter ist alt geworden. Es geht ihr ziemlich schlecht. Sie hat fünf Kinder zur Welt gebracht und hatte gedacht, von denen seien schon drei gestorben. Aber seit unserem Wiedersehen ist sie in besserer Stimmung. Jetzt sind doch nur zwei Kinder gestorben. Niemand hatte damit gerechnet, dass ich wieder auftauchen würde. Aber ich bin zum zweiten Mal geboren, nach so langer Zeit, nach siebzehn Jahren. Wenn ich sie besuchen gehe, sagen sie mir, ich soll gut auf mich aufpassen.
Sie wollen auch alles wissen, und es ist gar nicht einfach, ihnen alles ganz genau zu erzählen. Obwohl es ja kein Geheimnis mehr ist, was wir gemacht haben. Am Anfang war es eigentlich sogar eine Straftat, wenn ich überhaupt in die Stadt gefahren bin. Aber jetzt nicht mehr.

Als ich von zu Hause fortgegangen bin, war meine Nichte noch ein kleines Mädchen. Jetzt hat sie selbst ein Kind. Es ist schwierig. Ich habe meine Familie und meine Freunde, aber es ist nicht das Gleiche.
In meinem Stadtteil erfuhr ich auch etwas über den „Pfarrer“, meinen Kumpel. Als ich meine Mutter nach ihm fragte, musste sie weinen.

-Ist er tot?

Sie sagte mir, dass er lebe, aber im Gefängnis sei. Der Mann seiner Schwester habe diese umbringen wollen. Er sei dazwischen gegangen. Was genau passiert ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wurde er verhaftet und sitzt jetzt im Gefängnis. Mein Geheimnis hat er gewahrt. Als meine Mutter ihn einmal nach mir fragte, sagte er:

-Ich weiß nur, dass er eine Frau hat und jetzt woanders lebt.

Ich habe meinen Angehörigen alles erzählt, und sie haben mich nicht abgelehnt. Ich hatte gedacht, sie würden vielleicht gar nichts mehr von mir wissen wollen, sie würden mich rausschmeißen. Aber nein, sie haben mich mit offenen Armen wieder aufgenommen. Und sie haben mir gesagt:

-Das ist deine Lebenserfahrung und die respektieren wir. Du darfst aber nie wieder bei einem bewaffneten Aufstand mitmachen.

 

Nie wieder, sagte ich, das ist vorbei.

Die Wiedereingliederung ins Zivilleben ist gar nicht einfach. Man hat Angst, in der Gesellschaft, bei vielen, auf Ablehnung zu stoßen. Aber das ist gar nicht so. Man spricht mit den Leuten, und viele wollen sogar, dass man alles ganz genau erzählt. Wir haben ja auch wirklich viel zu erzählen. Wenn man einmal anfängt, alles zu erzählen, kann man gar nicht mehr aufhören, es sind ja Dinge, die man selbst erlebt hat.

Jetzt darf ich meine Familie besuchen, meine Freunde. Aber nach ein paar Tagen fange ich an, mich zu langweilen. Hier ist es anders, hier habe ich jetzt meine Freunde. Hier sind wir alle wie eine große Familie. In der Stadt ist alles ganz anders.

Ursprünglich komme ich ja auch aus der Stadt. Als Kind bin ich sogar zur Schule gegangen und habe in einer Schuhfabrik gearbeitet. Aber dann bin ich fortgegangen. Die Arbeit in der Stadt ist sehr schwierig.

Ja, ich komme aus der Stadt, aber eigentlich ist die Region Catatumbo meine Heimat. Hier auf dem Land habe ich einfach mehr Freiräume als in der Stadt. Ich bin aus der Stadt gekommen. Ich bin gekommen, um hier zu arbeiten und bin bei der Guerilla gelandet. Aber jetzt bin ich wieder zurück.

So ist mein Leben, und so ist das Leben von vielen. Wir haben viel erlebt. Nicht alle haben das Gleiche erlebt. Die einen sterben auf der einen Seite, und die anderen auf der anderen. Viele Geschichten, viele Erlebnisse, aber alle mit dem gleichen Ziel.

Aber jetzt kommt es darauf an, was die Zukunft bringt, nicht wahr?